Teil II: Friedrich Ludwig Gottlob Frege
Am 8. November 1848 wurde Friedrich Ludwig Gottlob
Frege im Haus Böttcherstraße 2 in Wismar geboren. Seine
Eltern, Carl Alexander und
Auguste Frege, leiteten eine private
Mädchenschule, die sie im Jahre 1834 gegründet hatten.
Gottlob Frege wurde zunächst von seiner Mutter unterrichtet und
besuchte anschließend die Große Stadtschule in Wismar, wo er 1869 die
Reifeprüfung ablegte. Noch im gleichen Jahr begann er, an der
Alma Mater Jenensis Mathematik zu studieren. Er belegte alle Vorlesungen
von Ernst Abbe
über Probleme der Physik und Mechanik, ferner Vorlesungen über
analytische Geometrie, Analysis, Telegraphie, Chemie, Philosophie u.a.
Mit Beginn des Sommersemesters 1871 ging er an die Universität
Göttingen, wo er 1873 mit der Arbeit „Über eine
geometrische Darstellung der imaginären Gebilde in der Ebene”
promovierte. 1874 kehrte er nach Jena zurück und habilitierte sich
hier im gleichen Jahr unter dem Dekanat von
Ernst Haeckel mit der Arbeit
„Rechnungsmethoden, die sich auf eine Erweiterung des
Größenbegriffs gründen”.
Von 1874 bis 1879 wirkte Frege als Privatdozent
in Jena. In dieser Zeit konzentrierte er seine Forschungstätigkeit
auf die logische Grundlegung der Mathematik. Sein Ziel war die Herleitung
der gesamten Mathematik aus einer dementsprechenden Logik. 1879 erschien
sein Werk „Begriffsschrift, Eine der arithmetischen nachgebildete
Formelsprache des reinen Denkens”, worin er in vollendeter Weise
die Grundzüge der modernen Logik entwickelte. Diese Arbeit
enthält u.a. die Entdeckung der logischen Funktion (Aussagenoperation)
und die Einführung der Theorie der logischen Quantifikation, die
erste Formulierung der Aussagenlogik als mathematisch-logisches System
und die Entwicklung eines Prädikatenkalküls erster Stufe,
eine Anwendung der mathematisch-logischen Methode auf die Formalisierung
einer konkreten mathematischen Disziplin, die logische Analyse des
mathematischen Beweises durch vollständige Induktion und eine
klare Unterscheidung von Axiomen und Schlußregeln. Von vielen Logikern
wird diese Arbeit heute als der Beginn der mathematischen Logik und
Grundlagenforschung moderner Prägung angesehen, als die
„Geburtsurkunde der modernen mathematischen Logik”.
Mit ihr beginnt also die 4. Periode der Geschichte der Logik, die heute
noch andauert.
Verfolgen wir zunächst Freges weiteren
Lebensweg. 1879 wurde er als außerordentlicher Professor für
Mathematik berufen. Den Versuch der Rückführung der Mathematik
auf die Logik baute er in seinen nachfolgenden wichtigsten Werken
„Grundlagen der Arithmetik” (1884) und
„Grundgesetze der Arithmetik” (1893 und 1903) aus. Durch
diese trug er in ganz einzigartiger Weise zur begrifflichen Klärung
der Grundlagen der Mathematik bei. 1896 wurde Frege
zum ordentlichen Honorarprofessor für Mathematik berufen. Als der
zweite Band seiner „Grundgesetze” im Druck war, wurde ihm durch
Russell in einem Brief vom
16. Juni 1902 die nach diesem benannte Antinomie der Menge aller Mengen,
die sich nicht selbst als Element enthalten, mitgeteilt. Frege
veröffentlichte diese Antinomie im Nachwort seines zweiten Bandes und
erklärte zugleich eine der Grundlagen des von ihm errichteten
Gebäudes als erschüttert. Er versuchte nunmehr eine Neubestimmung
des Zahlenbegriffes sowohl durch eine semantische Vertiefung der
Prädikatenlogik als auch durch einen Rückgriff auf die
konstruktive Vorgehensweise in der Geometrie. Die Erarbeitung dieses
Zuganges, die schon in die Richtung der späteren konstruktiven
Mathematik führte, war mit einer umfassenden Kritik der
formalistischen Begründung der Mathematik durch
Hilbert verbunden.
Gottlob Frege blieb zeitlebens seiner
Heimatstadt Wismar und ihrer weiteren Umgebung eng verbunden. Während
seines Jenaer Wirkens gab er als sein „Vaterland” stets
Mecklenburg-Schwerin an. Sehr oft wanderte er in den Sommerferien zu Fuß
von Jena nach Wismar und zurück. Im Oktober 1918 trat er in den
Ruhestand und zog nach Bad Kleinen am Schweriner See. Hier starb
er am 16. Juli 1925 an den Folgen eines Magenleidens. In aller Stille
wurde er in seiner Geburtsstadt Wismar beigesetzt, wo ein schlichtes
Eisenkreuz an ihn erinnert.
Freges wissenschaftliche Leistungen wurden leider zu seinen Lebzeiten
kaum gebührend gewürdigt. Ein wesentlicher Grund dafür
war die eigenartige zweidimensionale Symbolik in dem von ihm entwickelten
Logikkalkül. Der Hauptgrund war aber sicher, daß die Ideen
Freges seiner Zeit zu weit voraus waren, daß
die von ihm aufgeworfenen Probleme die Mathematiker und Logiker seiner
Zeit noch nicht tangierten, daß sie von ihnen noch gar nicht voll
verstanden werden konnten.
Erst in unserer Zeit ist eine weltweite Würdigung der wirklichen
Leistungen Freges zu verzeichnen, und er wird
weltweit als einer der bedeutendsten Logiker aller Zeiten gefeiert.
In seinen Arbeiten ist bereits ein großer Teil dessen erstmalig
präzise ausgesprochen oder vorgeführt, was heute Allgemeingut
bei der Begründung der mathematischen Logik ist.
Auf den verschiedensten Gebieten der Informatik und Computerwissenschaft
erfolgen gegenwärtig intensive Bemühungen um die Schaffung von
formalisierten Sprachen und Kalkülen mit nichtlinearen
Ausdrucksmitteln. Auch dazu sind in den Arbeiten Freges wichtige
Bezüge zu finden. Frege eröffnete seine Darstellung der
Logik mit philosophischen Überlegungen und all sein Bemühen war
stets auch philosophisch-erkenntnistheoretisches Bemühen. Er setzte
sich mit Spielarten des Subjektivismus auseinander und erarbeitete
Beiträge zu Sinn und Bedeutung von Wörtern und Sätzen,
wobei er u.a. zu sprach-philosophischen Untersuchungen des
Verhältnisses von formalisierter zu nichtformalisierter Sprache
gelangte. Sowohl die von ihm gewonnenen Ergebnisse als auch sein
methodisches Vorgehen bei der Analyse logischer Probleme zur Wahrung
der Einheit inhaltlicher und formaler Aspekte der Wiederspiegelung der
objektiven Realität sind von aktuellem philosophischen Interesse.
Da Freges Ausbildung und sein wissenschaftliches
Wirken aufs engste mit der Universität Jena verbunden waren, hat
es die Friedrich-Schiller-Universität Jena übernommen, wirksame
Beiträge in dem weltweiten Prozeß der aktiven Verarbeitung und
Verfolgung Fregeschen Gedankengutes zu leisten, der in Jena eine
seiner stärksten Wurzel hat. Der 100. Jahrestag des Erscheinens
der „Begriffsschrift” wurde zum Anlaß genommen, im Mai 1979 in
Jena die 1. Frege-Konferenz durchzuführen. Auf dieser Konferenz
wurden erstmalig Philosophen, Mathematiker, Logiker und
Computerwissenschaftler unter einer einheitlichen Thematik
zusammengeführt. Neben Teilnehmern aus unserer Republik nahmen
daran Wissenschaftler und Frege-Forscher aus der Sowjetunion, Polen,
Ungarn, CSSR, BRD, Niederlande, Italien, Frankreich, USA, Kanada, Indien,
Kolumbien und Westberlin teil.
Gegenwärtig sind Wissenschaftler der Sektion Mathematik der
Friedrich-Schiller-Universität um Prof. Wechsung
und Dr. Lischke dabei, die 2. Frege-Konferenz
zu organisieren, die anläßlich des 100. Jahrestages des
Erscheinens der „Grundlagen der Arithmetik” im September
1984 in Schwerin stattfinden wird. Auch diesmal erlaubt die Thematik
wieder das interdisziplinäre Gespräch zwischen Mathematikern,
Logikern, Philosophen und Methodologen, die wieder aus vielen Staaten
der Welt erwartet werden. Im Rahmen der Konferenz erfolgt von Schwerin
aus ein Besuch in Wismar und Bad Kleinen. An Freges
letzter Ruhestätte wird ein Gedenkvortrag gehalten werden, und in
der Nähe seines Geburtshauses wird eine Straße den Namen
Friedrich Ludwig Gottlob Freges erhalten.
Somit wird dann Frege auch in seiner Heimatstadt
die gebührende Ehre zuteil werden. Das Symbol für die
Frege-Konferenz wurde von Paul Wolfgang Puhlmann,
Jena in Anlehnung an Freges Symbolik in der
„Begriffsschrift” entwickelt. Dort symbolisierte das
Grundzeichen die Verknüpfung zweier Aussagen A und B zu
einer neuen Aussage der Form „wenn B gilt, so muß A mit Notwendigkeit
eintreten”. Aus derartigen Grundzeichen lassen sich alle
Schlüsse der mathematischen Logik darstellen.
Dr. G. Lischke
FSU Jena
(erschienen in Die Wurzel, Heft 9/1984)
Geschichte der Logik
· Teil I: Vorgeschichte der modernen mathematischen Logik
· Teil II: Friedrich Ludwig Gottlob Frege
· Teil III: Weitere Entwicklung nach Frege
· Teil IV: Algorithmische Logik
· Literaturhinweise
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