Teil III: Weitere Entwicklung nach Frege
Wie wir erfahren haben, trug die von Gottlob Frege
verwendete eigenartige zweidimensionale Symbolik eine gewisse Schuld daran,
daß seinen Arbeiten lange Zeit die verdiente Würdigung versagt
blieb. Eine Symbolik der mathematischen Logik der heute üblichen Form
entstand durch die Arbeiten von Giuseppe Peano
(1858-1932) und seiner Schule. Auch die heute üblichen Symbole der
Mengenlehre gehen auf Peano zurück.
Die Bedeutung der Arbeiten Freges als Beginn einer neuartigen
Entwicklungsform der modernen Logik wurde zuerst von
Bertrand Russel (1872-1970) erkannt. Dieser
leistete nicht nur bedeutsame Beiträge zu ihrer weiteren Ausarbeitung,
sondern folgte auch den mit der Entwicklung der Logik verbunden Absichten
Freges, der Begründung der Mathematik durch die Logik. In der
Symbolik schloß er sich allerdings weitgehend Peano und seiner
Schule an. Russells Versuche wurden durch das in zehnjähriger
gemeinsamer Arbeit mit Alfred North Whitehead
(1861-1947) geschaffene dreibändige Monumentalwerk „Principia
Mathematica” gekrönt (erschienen 1910-1913). Im Vorwort betonten
die Autoren ausdrücklich, daß sie die tragenden Gedanken ihres
logischen Systems Frege verdanken. Es zeigte sich, daß eine relativ
kleine Anzahl von aussagenlogischen und prädikatenlogischen Axiomen
und Schlußregeln ausreichen, um alle wesentlichen Beweise einiger
grundlegender mathematischer Disziplinen formal nachzubilden. Um
Antinomien (Widersprüche) zu vermeiden, entwickelten Russel und
Whitehead die sogenannte Typentheorie, deren wesentlichste Grundidee eine
Stufung der Mengen und Prädikate (Relation) war, so daß eine
Menge bzw. ein Prädikat stets eine höhere Stufe hat als ihre
Elemente bzw. die Objekte, auf die es angewendet wird. Die logischen
Axiome und Regeln mußten dann für jede Stufe gesondert
festgelegt werden. Mit diesem Buch schufen Russel und Whitehead
eine noch heute gültige logische Grundlegung der Mathematik.
An dieser Stelle sei nebenbei bemerkt, daß Bertrand Russell auch
eine der herausragendsten Persönlichkeiten der Weltfriedensbewegung
war.
Eine wesentliche Wolle bei der Herausbildung der heutigen mathematischen
Logik spielten auch die Arbeiten von David Hilbert
(1862-1943) und seiner Schule zur Beweistheorie. Gemeinsam mit seinem
Schüler Wilhelm Ackermann (1896-1962)
verfaßte er 1928 das Buch „Grundzüge der theoretischen
Logik”, das zu einem weiteren Meilenstein in der Entwicklung der
Logik wurde. Ackermann selbst wurde u.a. noch durch Arbeiten zum
Entscheidungsproblem der Prädikatenlogik, zur Widerspruchsfreiheit
der elementaren Zahlentheorie und zur axiomatischen Mengenlehre bekannt.
Ein weiterer Schüler und enger Mitarbeiter Hilberts auf dem Gebiet
der mathematischen Logik und Grundlagenforschung war
Paul Bernays (1888-1977). Beide gaben gemeinsam
das zweibändige Werk „Grundlagen der Mathematik”
heraus (1934 und 1939), das eine systematische Zusammenfassung von
Grundlagen-Arbeiten darstellte. Bereits 1918 gab Bernays einen
ersten Vollständigkeitsbeweis für den klassischen zweiwertigen
Aussagenkalkül an, d.h. einen Beweis dafür, daß jeder
allgemeingültige aussagenlogische Ausdruck allein mittels gewisser
einfacher syntaktischer Umformungsregeln (Schlußregeln) aus gewissen
vorgegebenen Axiomen erzeugbar ist. Von ihm stammen auch wesentliche Ideen
für eine axiomatische Begründung der Mengenlehre im
Prädikatenkalkül der ersten Sufe.
Wesentliche Resultate der mathematischen Logik der Neuzeit sind mit dem
Namen des österreichischen Mathematikers und Logikers
Kurt Gödel (1906-1978) verbunden. Von ihm
stammen u.a. der nach ihm benannte Vollständigkeitssatz, der nach ihm
benannte Unvollständigkeitssatz sowie der Nachweis der relativen
Widerspruchsfreiheit von Auswahlaxiom und Kontinuumshypothese zu den
übrigen Axiomen der Mengenlehre. Der 1930 bewiesene Gödelsche
Vollständigkeitssatz wird auch als Hauptsatz der mathematischen
Logik bezeichnet. Er besagt, daß man (im Prädikatenkalkül
der ersten Stufe) ein solches endlich überschaubares System
syntaktischer Regeln (Schlußregeln) angeben kann, daß die
vermittels dieser Regeln aus einer beliebigen Menge X von Ausdrücken
(das sind formalisierte Aussagen) formal ableitbaren Ausdrücke genau
dieselben sind, die aus X semantisch (d.h. inhaltlich) folgen, d.h. die in
dem Modell von X gültig sind. Aus diesem Satz lassen sich eine Reihe
wichtiger Schlußfolgerungen ziehen, beispielsweise, daß es ein
endliches Axiomensystem für den Prädikatenkalkül der ersten
Stufe gibt, oder daß eine beliebige Menge X von Ausdrücken
bereits dann ein Modell besitzt, wenn jede endliche Teilmenge von X ein
Modell besitzt. Der zuletzt erwähnte Sachverhalt wurde übrigens
1936 unabhängig von den Gödelschen Arbeiten durch den
sowjetischen Mathematiker Anatoli Iwanowitsch Malzew
(1909-1967) bewiesen. Als Modell einer Menge X von Ausdrücken
bezeichnet man eine solche algebraische Struktur (z.B. eine Gruppe,
Vektorraum, halbgeordnete Menge, topologischer Raum o.a.), in der
gleichzeitig alle in X enthaltenen formalisierten Aussagen wahr sind.
Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz, der 1931 bewisen wurde,
besagt sinngemäß, daß jede hinreichend
ausdrucksfähige widerspruchsfreie axiomatisierte Theorie
unvollständig ist, d.h. es gibt Aussagen in der Sprache dieser
Theorie, deren Wahrheit oder Falschheit mit den Mitteln der Theorie nicht
beweisbar ist. Derartige Theorien sind beispielsweise die Mengenlehre und
die elementare Theorie der natürlichen Zahlen mit Addition und
Multiplikation.
Gegenüber den früher im Vordergrund stehenden syntaktischen
Aspekten der Logik traten mit Beginn der Gödelschen Arbeiten immer
stärker semantische Fragen (der allgemeine Modellbegriff und das
semantische Folgern) und metalogische Probleme (das sind Probleme, die
logische Systeme als ganzes betreffen, wie z.B. die genannten Sätze
von Gödel) in den Mittelpunkt des Interesses. Hier wären vor
allem die Arbeiten des Polen Alfred Tarski
(1901-1983) zu nennen, der exakte mengentheoretische Methoden zur
Interpretation formalisierter Sprachen und wesentliche Gedanken zur
modernen Algebraisierung der Logik entwickelte. Bekannt ist der nach ihm
benannte Satz, nach dem eine Menge X von Ausdrücken, welche ein
unendliches Modell besitzt, ein Modell von jeder beliebigen unendlichen
Mächtigkeit besitzt. Der Amerikaner Alonzo Church
(geb. 1903) bewies 1936, daß die Menge aller allgemeingültigen
Ausdrücke des Prädikatenkalküls der ersten Stufe nicht
entscheidender ist, d.h. es gibt kein effektives, algorithmisches
Verfahren, durch welches von einem beliebigen Ausdruck festgestellt werden
kann, ob er allgemeingültig ist oder nicht. Damit war also
endgültig gezeigt, daß das im 17. Jahrhundert aufgestellte
„Leibniz-Programm” nicht realisierbar ist.
In jüngster Zeit wurde die mathematische Logik durch die Arbeiten
zahlreicher Wissenschaftler und Logiker zu einer weitverzweigten
Wissenschaft ausgebaut, und es ist an dieser Stelle nicht mehr möglich,
repräsentative Vertreter und ihre Leistung im einzelnen zu nennen.
Auch in unserer Republik wurden in der historisch kurzen Frist von
35 Jahren seit ihrer Gründung wesentliche Beiträge zu diesem
Gebiet geleistet. Dabei sei noch vermekt, daß die gesamte
Entwicklung der mathematischen Logik in der DDR auf
Karl Schröter (1905-1977) zurückgeht,
der von 1948 bis zu seinem Tode an der Humboldt-Universität in Berlin
wirkte. Fast alle heute in der DDR auf diesem Gebiet tätigen
Wissenschaftler sind direkt oder indirekt seine Schüler.
Bis zu den 20er Jahren unseres Jahrhunderts wurde die Logik fast
ausschließlich als ein zweiwertiges System betrachtet, in dem es nur
die Wahrheitswerte wahr und falsch gab. Im Jahre 1920
stellte der polnische Philosoph und Logiker Jan Lukasiewicz
(1878-1956) erstmals eine dreiwertige Logik vor, in der als dritter
Wahrheitswert ein Wert eingeführt wurde, der mit möglich
oder neutral bezeichnet werden kann. Gegenwärtig werden
vielfältige mehrwertige Logiken ausgearbeitet, in denen Aussagen
Werte aus einer beliebigen endlichen oder unendlichen Menge von
Wahrheitswerten annehmen können. Daneben gibt es noch zahlreiche
andere „Logiken”, die heute untersucht werden, z.B. modale
Logik (Logik von möglich, notwendig,
unmöglich usw.), konstruktive Logik (hier gilt nur als
wahr, wofür ein Konstruktionsverfahren angegeben werden kann),
Zeitlogik, Wahrscheinlichkeitslogik, intuitionistische Logik,
algorithmische Logik u.a.
Mit der zuletzt genannten wollen wir uns im nächsten Beitrag etwas
genauer beschäftigen.
Dr. G. Lischke
FSU Jena
(erschienen in Die Wurzel, Heft 9/1984)
Geschichte der Logik
· Teil I: Vorgeschichte der modernen mathematischen Logik
· Teil II: Friedrich Ludwig Gottlob Frege
· Teil III: Weitere Entwicklung nach Frege
· Teil IV: Algorithmische Logik
· Literaturhinweise
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